Ja, welch ein Schock für alle Fans des deutschen Schlagers, oder besser: des deutschen Country-Songs. Ihr Idol, der Sänger und Songwriter Gunter Gabriel, starb mit 75 Jahren. Ausgerechnet eine graue Steintreppe in Hannover wurde ihm zum Verhängnis, beendete Gunters bewegtes Leben. Dieses glich einer extremen Buckelpiste, eher noch einer komplexen Achterbahn. Eben noch hochumjubelter Musiker mit seiner markanten tiefen Stimme und Hitlieferant für zahlreiche Kollegen, dann der totale Absturz ins musikalische Nirwana. Mitte der 80er blieben dann die Erfolge aus, und eine Person, der er vertraute, brachte ihn um seine verdienten Millionen. Die Folge: Der beliebte Star sprach verstärkt dem Alkohol zu und gab sich die Kante. In diesem beklagenswerten Zustand sahen ihn viele tagsüber in den Städten, völlig blau. "Die Leute sind dann einfach über mich drübergestiegen und dachten wohl: Da liegt der besoffene Gabriel. Das war für mich der absolute Tiefpunkt in meinem Leben", erinnert sich Gunter mit Schmerz und Bitterkeit.
Hiebe statt Liebe
Spulen wir das Rad der Zeit zurück an den Anfang: Als Günter Caspelherr im westfälischen Bünde 1942 die Bühne der Welt betrat, herrschte noch Krieg, gefolgt von massiver wirtschaftlicher Not. Das Trauma seines Lebens: Als Gunter vier war, starb seine Mutter mit nur 24 Jahren. Fortan lag es am herrischen Vater, seine Kinder zu erziehen. Leider gab's, so Gunter in diversen Dokus, mehr Hiebe statt Liebe. Wohl ein Grund für ihn, irgendwann vorzeitig die Volksschule abzubrechen, um möglichst früh auf eigenen Beinen zu stehen. Er jobbte sich durch ganz Mitteleuropa, schaffte dennoch sein Fachabitur und studierte schließlich an der FH Hannover Maschinenbau. Leider brach Gunter sein Studium ab. Fortan beschloss er, sich ganz der Musik zu widmen.
Zunächst werkelte der junge Mann als DJ und Promoter; später schrieb er für andere damals namhafte Pop-Größen eine Unzahl von Songs. Legendär sein allererster eigener Auftritt im Fernsehen: Im August 1973 präsentierte er in der ZDF-Hitparade sein Lied "Ich werd' gesucht" - ein Werk über einen Heiratsschwindler auf der Flucht. "Wieder ein neuer Name dabei! Überlegen Sie mal die Reihe derer, die in dieser Sendung entdeckt wurden", bemerkte Dieter Thomas Heck begeistert. Wie sich zeigte, sollte der quirlige Moderator Recht behalten. Denn Gunter Gabriels größte Hits wie bespielsweise "Er ist ein Kerl (der 30 Tonner Diesel)" (1973), "Hey Boss, ich brauch' mehr Geld" (1974) und "Komm unter meine Decke" (1975) sollten erst noch folgen. Dazu stammten auch einige sehr bekannte Titel von anderen Interpreten aus seiner Feder: "Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst" (Juliane Werding), "Ich trink' auf dein Wohl, Marie" (Frank Zander) und "Das wär John nie passiert" (Wencke Myhre) und viele andere mehr.
Authenzität statt Blabla
Gunter Gabriel avancierte zum absoluten Kassenmagneten und trotz seiner, zumindest im Ansatz, kritischer Texte zum Publikumsliebling. Vielleicht gerade, weil er als glaubwürdiger Typ rüberkam. Seine Fans spürten, Gunter lieferte keine Blabla-Titel ab, nur des Geldes wegen. "Viele Songs meines Vaters sind total authentisch. Das macht seine Lieder so besonders: Dass sie wirklich gefühlt und erlebt sind, niemals konstruiert, um irgendeinen Hit zu landen", erklärte Yvonne Koch, die Tochter des Sängers. Und Mallorca-König Jürgen Drews ergänzte: "Der ist so nah am Volk. Der ist Country, und Country heißt erdig."
Etwa ab Mitte der 80er kündigte sich die erste Wende in Gunters Leben an: Plötzlich stapelten sich seine Platten in den Läden; die Verkäufe gingen zurück. Zudem vertraute der Vollblut-Musiker leider den falschen Leuten. Ratschläge, in diverse Immobilien zu investieren, brachten ihn in Teufels Küche - und um sein ganzes Vermögen von zirka 10 Millionen Mark. Von nun an sollte der Berliner Künstler für viele Jahre auf der Schattenseite des Lebens wandeln. Eine sehr lange Zeit lebte er teils allein, teils mit seiner Tochter, in Camping-Vans und pennte an Autobahn-Raststätten. Auf ihn wartete ein eher einfaches Leben, welches er im Nachhinein allerdings nicht in Grund und Boden verteufelte. Möglicherweise habe er sich dies, so der Künstler, sogar unbewusst gewünscht. Denn, wie er wenige Jahre vor seinem Tod offenbarte, machte all das Geld keinen glücklichen Menschen aus ihm. Vielmehr schätzte Gunter die einfachen Dinge des Lebens. Was aber nicht hieß, Gabriel sei ein einfacher Mensch gewesen. Sein alter Weggefährte und Freund Frank Zander brachte es auf den Punkt: "Mensch Gunter! Du warst kein einfacher Mensch, hattest immer deinen eigenen, sturen - aber genialen Kopf."
Der Mann mit der Gitarre
Sein Leben glich einem unberechenbaren Auf und Ab, wie es nur wenige echte Stars durchleben. In diese Zeit fiel auch die eingangs beschriebene Szene, als er abgefüllt auf der Straße lag. Letztlich stachelte ihn dieser "absolute Tiefpunkt" an, zumindest wieder nach oben zu wollen. Diesmal war ihm das Glück - vorsichtig formuliert - hold. 1993 bekam er, zusammen mit dem Kollegen Tom Astor, für sein Lied "Sturm und Drang" immerhin den "Award der German American Country Music Federation (GACMF). Im gleichen Jahr nahm ihn dieser Verein dann in die deutsche "Country Music Hall of Fame" auf. Zeit, dem ollen Camping- und Schrottplatz den Rücken zu kehren, dachte sich der Mann mit der Gitarre und siedelte 1996 nach Hamburg über.
Zunächst logierte der Country-Sänger eine Zeit lang im noblen Viertel Pöseldorf, mit freier Sicht auf die Alster. Doch auch dies machte ihn nicht sehr glücklich: "Da konnte ich nicht mal im Bademantel zum Einkaufen gehen - das war mir alles viel zu vornehm. Ich hatte mich an das freie Leben auf der Straße gewöhnt." Da schwebte ihm eher ein Hausboot vor, sicher im Hamburger Hafen verankert. Monate lang suchte Gunter mit Kumpel alle Kanäle ab, bis sie das für ihn ideale Boot fanden - das frühere DDR-Arbeiterschiff "Magdeburg". Immerhin musste der Musiker satte 80000 Mark dafür abdrücken. Kein Problem, schließlich verdiente Gunter seit einger Zeit wieder richtiges Geld. "Hier hab ich keine Sorgen. Und um Rente muss ich mir keine Gedanken machen. Ich habe nichts im Sack, verdiene aber ganz gut. Die Gitarre rettet mich - und das Boot hier", freute sich der Wahlhamburger.
Ohne Zweifel - der Sänger Gunter Gabriel meldete sich zurück. In den vergangenen Jahren gelang es ihm, immerhin 400000 Euro Schulden abzubauen. Teils durch seine so genannten Wohnzimmerkonzerte bei seinen Fans. Pro Musikabend konnte er gar 1000 Euro verbuchen, was bei ungefähr 1000 solcher Sessions einen stolzen Betrag ergab. Wie wär's denn mit einem Domizil auf festem Boden wie etwa Udo Lindenberg? Da winkte der großgewachsene Gitarrist ab: "Das ist für mich ein verfälschtes Leben. … Das Geklapper hier, das Treiben - das brauche ich." Daher zog es ihn zum bunten Wirrwarr eines umtriebigen Hafens. Während Werftarbeiter in orange-roten Overalls nebenan ein älteres Schiff vertauten, zeigte er Gästen gern seine geschmackvoll eingerichtete Wohnstube. Tourplakate, massenweise Langspielplatten, interessante Souvernirs und vor allem Fotos aus alten Zeiten zierten die vier Wände.
"Magdeburg" in Hamburg
Geschlagene 20 Jahre logierte er auf der "Magdeburg" und genoss das Leben. Freiheit ging ihm über alles. Gequält dachte der Sänger dagegen an die Zeit im RTL-Dschungelcamp zurück, wo er schon nach fünf Tagen genervt ausstieg. "Ich war vom Dschungel so geschwächt, dass ich zwei Monate lang nur im Bett lag. So kaputt war ich. Auf einmal funktionierte nichts mehr", seufzte Gunter Gabriel. Doch Gott sei Dank überwogen die schönen, herzlichen Erinnerungen. In diesem Sinne verwies er auf die langjährige Freundschaft zu Johnny Cash, dem US-Urgestein der Country-Musik. 1972 trafen sie sich zum ersten Mal. Zu Gabriels Überraschung vergaß der Star aus Nashville ihn nicht, rief ihn von Zeit zu Zeit an. Auch im Jahr 2003, als Gunter gerade von der Bühne gefallen war und dazu noch einen Herzanfall erlitt. Darauf besuchte Gabriel sein Idol Johnny Cash in Tennessee, erschrak jedoch über dessen fragile Gestalt. Jedenfalls spielten sie gemeinsam eine Platte mit Cash-Songs in Deutsch ein. Worauf der US-Star gerührt Tränen vergoss. Die Freundschaft zu seinem Lehrmeister Johnny Cash und dessen Motto ("I walk the Line"; deutsch: "Ich bleibe auf dem geraden Weg") brachten auch Gabriel auf den für ihn richtigen Weg zurück.
Wie sah er sich selbst? "Ein bisschen Macho, ein bisschen Punk, ein bisschen Proll", erwiderte er oft, nicht ohne mit den Augen zu zwinkern. Und ob er Angst vor dem Tod habe. "Keinesfalls. Ich sag' dir auch warum: weil ich einen Haufen Zeugs gut gemacht habe in meinem Leben. … Ich hab' ein paar geile Songs geschrieben. Und ich habe ein superinteressantes Leben gelebt mit allen Amplituden", erzählte er stolz. Eins ist klar: Es erscheint schon sehr schwer, hierzulande ein bekannter Star zu werden. Aber als noch schwieriger gilt wohl, aus dem tiefsten Keller wieder halbwegs nach oben zu kommen. Zahlreiche Weggefährten teilen diese Sicht. "Gabriel ist der einzige Liedermacher mit der Fähigkeit, Countrymusic ins Deutsche zu übertragen, und er verwandelt banale Texte zu Hörerlebnissen", bestätigt Richard Wetze vom Musiklabel "Bear Family".
Last, not least bleibt die Frage nach Gunters Vermächtnis und Verdienst. Unbestritten sang er als Erster im August 1973 mal nicht über das damalige Standardthema des deutschen Schlagers: die Liebe. Stattdessen nahm er sich die Freiheit, die Ängste und Sorgen der Bürger ernst zu nehmen und in Liedform zu kleiden. Wurde 1973 auch höchste Zeit, wie selbst namhafte Showgrößen wie Hans Rosenthal monierten. Und der eckige, kantige Liedermacher blieb sich selbst treu. Es folgten dann Songs wie "Er ist ein Kerl" und der Kulttitel "Hey Boss, ich brauch' mehr Geld". Auf gewisse Weise gelang es Gabriel, das Bewusstsein der Menschen für die Ungerechtigkeiten im Leben zu schärfen. Statt für uns selbst malochen wir mit aller Kraft und bis heute unter unerbittlicher Strenge nur für die Bosse, die da noch kräftig absahnen und ihr Schäflein ins Trockene bringen. Damit war der Berliner sogar heute noch den meisten Musikern um Längen voraus. "Ich muss wohl 'ne Menge richtig gemacht haben in meinem Leben", resümierte Gunter kurz vor seinem Tod. Stimmt. Danke Gunter, für alles! RIP!
Joachim Eiding
Quellen: www.roomido.com - www.tagesschau.de - www.stern.de - www.gunter-gabriel.com - www.rtl.de - www.musikexpress.de - www.web.de
music4ever.de - Anekdote - Nr. 107 - 08/17