Kurz vor Weihnachten schockte die Nachricht Millionen: Am 21. Dezember brach Entertainer, Musiker, Komponist und Pianist Udo Jürgens bei einem Spaziergang in seiner Wahlheimat Thurgau, Schweiz, tot zusammen. Praktisch in einer Tourneepause. Im Februar sollte es weitergehen. Doch da wird nun nichts draus. Denn der große Udo Jürgens - einer der größten, vielleicht der größte Musiker im deutschsprachigen Raum - lebt nicht mehr. Was war er für ein Mensch? War ihm der Erfolg in den Schoß gefallen?
Am Tag, als alles anfing
Udo Jürgens wurde als Udo Jürgen Bockelmann am 30. September 1934 in Ottmanach bei Klagenfurt in Kärnten geboren. Dort wuchs er zusammen mit dem älteren Bruder John (geboren 1931) und dem jüngeren Manfred (geboren 1943) auf. Die Mutter stammte aus Schleswig-Holstein, während der Vater Landwirt war und in Moskau das Licht der Welt erblickte. Sein Onkel mütterlicherseits war immerhin der weltberühmte Maler und Bildhauer Hans Arp, ein Dadaist. Die Liebe zur Musik erwachte im zarten Alter von Fünf, als seine Eltern ihrem Sohn eine kleine Mundharmonika schenkten, auf der er von nun an Volkslieder spielte. Doch sein großer Wunsch war ein eigenes Akkordeon, den ihm die Eltern dann 1942 endlich erfüllten. Viele Jahre später erinnerte sich der Künstler in seinem Lied "Musik, Musik!" an diese frühe Zeit; so heißt es im Text: "Am Tag, als alles anfing, da war ich gerade zehn. Ich sah bei einem Schulfreund einen alten Flügel stehn. Ich berührte seine Tasten, und ich lauschte, wie es klang, ich verlor mein Herz an die Musik von dieser Stunde an."
Sechs Jahre danach entschied sich Udo endgültig für die Musik, begann am Konservatorium Klagenfurt mit dem Musikstudium. Seine Wahl fiel dabei auf die Fächer Klavier, Harmonielehre, Komposition und Gesang. Stark beeinflusst wurde der junge Udo am Ende des Zweiten Weltkriegs durch amerikanische Jazzmusiker wie Duke Ellington, Count Basie, Benny Goodman und Tommy Dorsey.
Als 16-Jähriger gewann er bei einem Komponisten-Wettbewerb des Österreichischen Rundfunks den ersten Preis und ein Jahr später wurde er nach Abschluss des Realgymnasiums in Klagenfurt unter dem Künstlernamen "Udo Bolan" hauptberuflich Sänger. Mit der neugegründeten "Udo Bolan Band" tingelte er durch die Kärntner Klubs; das Programm bestand aus Swing, Tanzmusik und Udos Eigenkompositionen.
Weiße Chrysanthemen
Seinen ersten Plattenvertrag erhielt er 1954; es erschien seine erste Single "Es waren weiße Chrysanthemen" bei Heliodor. Die Enttäuschung war groß, als sich diese Platte leider nicht verkaufte, floppte. Doch der Sänger ließ sich nicht entmutigen und legte sich zunächst einen neuen Künstlernamen zu: Udo Jürgens. Mit diversen Combos reiste er kreuz und quer durchs Alpenland, von Wien über Salzburg bis München. Bis ihm 1957 eine große Ehre zuteil wurde: Max Greger lud ihn auf seine Russland-Tournee ein.
Mit dem Titel "Hejo, hejo, Gin und Rum" gelang ihm sogar ein erster Achtungserfolg. Es folgten Jahre als Schlagersänger mit Titeln wie "Der lachende Vagabund", "Es zieht ein Spielmann durch das Land" und "Hey Stop! Das ist meine Braut". Hier handelte es sich um die deutsche Version des Songs "Be my Guest" von Fats Domino.
Die große Zeit begann für Udo Jürgens, als er 1960 für Deutschland am Songfestival im belgischen Knokke teilnahm - und siegte. Sein Titel "Jenny" wurde noch im selben Jahr die Nummer Eins in Belgien und erreichte ein Jahr später in Deutschland immerhin Platz 36 der Hitparade. Und auch im Filmgeschäft hatte er einige Rollen: so 1961 im Streifen "Und du mein Schatz bleibst hier" und kurz darauf in Komödien wie "Unsere tollen Tanten". Dass das Leben einer Buckelpiste gleicht, musste auch Jürgens resigniert feststellen: 1963 beschloss seine Plattenfirma, den Vertrag nicht mehr zu verlängern. Udo war entmutigt, dachte daran, mit dem Singen aufzuhören.
Ein Hit für Shirley Bassey
Doch er hatte Glück im Unglück: Der bekannte Manager Hans. R. Beierlein nahm ihn unter seine Fittiche und verpflichtete ihn für seine Firma Montana. Der Erfolg sollte sich bald einstellen; ihr erstes gemeinsames Projekt - die Single "Tausend Träume" - wurde in Udos Heimat Österreich sehr populär. Zu dieser Zeit zeigte sich auch sein Talent als Komponist: Bereits 1960 schrieb er für den Weltstar Shirley Bassey den Hit "Reach For The Stars" sowie verschiedene Titel für deutsche Interpreten wie Gerhard Wendland und Rex Gildo. Einem breiteren Publikum wurde er durch die Teilnahme am "Grand Prix Eurovision de la Chanson" von 1964 in Kopenhagen bekannt, wo er für Österreich mit "Warum nur, warum?" sogar den fünften Platz schaffte.
Und auch im englischsprachigen Raum belegten seine Titel zum ersten Mal Spitzenplätze: In Großbritannien machte Matt Monro mit der englischen Version "Walk Away" von "Warum nur, warum?" Furore, kletterte auf Anhieb an die Spitze der britischen Hitliste. Das brachte Udo Jürgens einige Tantiemen und zudem einen Ruf als engagierter Songwriter. Schon ein Jahr später nahm der Sänger abermals am "Grand Prix Eurovision" teil, diesmal in Neapel. Sein Lied "Sag' ihr, ich laß sie grüßen" belegte die vierte Position. Zu dieser Zeit interpretierten bereits renommierte Stars wie Sacha Distel und Jean-Claude Pascal seine Songs.
Doch erst mit der dritten Teilnahme am großen europäischen Songwettbewerb kam der Ruhm: Sein Beitrag "Merci Cherie" erreichte in Luxemburg den ersten Platz und erklomm in über 20 Ländern Toppositionen in den Hitlisten. Allein in Deutschland bekam Jürgens für das Lied sogar Platin. Es begann eine einzigartige Erfolgsträhne bis in die 90er Jahre. Titel wie "Siebzehn Jahr', blondes Haar", "Sag mir wie" und "Was ich dir sagen will" trafen ins Herz der Menschen. Und seine erste LP "Porträt in Musik" verkaufte sich 1966 glänzend. Konzerte in Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, der damaligen CSSR und der DDR machten ihn auch jenseits des "Eisernen Vorhangs" bekannt. Langsam wurde deutlich, dass Udo Jürgens etwas besaß, was vielen Künstlerkollegen fehlte, aber für einen dauerhaften Erfolg unerlässlich war: Charisma. Mühelos vereinte der Sänger ältere Semester wie auch die Jugend als sein Publikum.
Lieb Vaterland, aber bitte mit Sahne
Die Zeiten änderten sich: In Deutschland und einigen anderen europäischen Ländern gingen die Studenten auf die Barrikaden; die Amerikaner erlebten ihr Woodstock und den Vietnamkrieg. Und der inzwischen sehr populäre Udo Jürgens deutete die Zeichen der Zeit, reagierte Anfang der 70er Jahre mit völlig neuen, sehr kritischen Liedertexten. Es schien, als gebe es plötzlich zwei verschiedene Udos: Den, der mit leichter Kost wie "Anuschka" und "Mathilda" die Hitparaden stürmte und den Udo, der sich erstmals gesellschaftskritisch äußerte: So nahm er schon 1970 mit "Lieb Vaterland" die Nöte der Menschen im Nachkriegsdeutschland ernst und wagte gar echte Sozialkritik. 1974 nahm er mit "Ein ehrenwertes Haus" die Heuchelei bürgerlicher Spießer aufs Korn, zeigte mit "Tante Emma" 1976 sein Herz für die kleinen nostalgischen Lebensmittelläden und prangerte 1977 mit "Gefeuert" den harten Arbeitskampf in der Wirtschaft an.
Als Geniestreich und Prototyp einer gelungenen Mischung beider Stile galt jedoch sein "Aber bitte mit Sahne" von 1976. Einerseits ein stampfender, eingängiger Rhythmus, der diesem Titel später zum absoluten Diskotheken-Renner verhalf, andererseits ein von beißendem Sarkasmus triefender Text über die westliche Überflussgesellschaft, der besonders im Kaffeehaus-Österreich die Gemüter erregte. Die überaus erfolgreiche Platte schaffte damit spielend den Spagat, zwischen Schlagerfreunden und ernsthaften Zuhörern zu vermitteln.
60 Jahre ein Star
Zudem erwies sich der Kärntner als "Konzertmaniac" und humorvoller Entertainer. Zahlreiche Tourneen kündeten vom Konzerterfolg: Zwei Tourneen in Japan (1972 und 1973), gemeinsamer Auftritt mit Shirley Bassey vor 40.000 Zuschauern im gigantischen Maracana-Stadion von Rio de Janeiro und der Tournee-Marathon von 1977 mit 68 Konzerten in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Und es sollte Gold regnen: So 1976 für die LP "Meine Lieder" und für "Griechischer Wein" sowie die "Goldene Europa" für "Ein ehrenwertes Haus".
In den 80ern folgten noch bekannte Hits wie beispielsweise "Gaby wartet im Park", "Ich sah nur sie" und "Die Sonne und du". Offenkundig kehrte Jürgens zum (niveauvollen) Schlager zurück. Einzig die Lieder "Die Glotze ( … und das alles in Farbe)" und "Fünf Minuten vor 12" aus der Langrille "Silberstreifen" (1982) kratzten noch an der bürgerlichen Fassade. Trotzdem blieb er seinem Stil treu. Und ein Comeback? Hatte Udo nie nötig, weil er nie weg war. Einmal äußerte er in einem Interview sein Missbehagen über Intellektuelle. Andererseits zeugt es von großer intellektueller Leistung, sich ganze 60 Jahre ununterbrochen im überaus harten Showgeschäft zu halten. Davon künden weit über hundert Alben und unglaubliche 169 Single-Scheiben. Anders als viele Kollegen vermied Udo Jürgens größere Fehler: Als Jürgens mal den Schritt ins Filmbusiness wagte, erkannte er schnell, diese Welt war ihm fremd. Also blieb er der Musik treu. Der Kärntner Künstler gehört in den edlen Kreis derer, welche - kreativ bis zum letzten Blutstropfen - schließlich auf der Bühne sterben.
Joachim Eiding
Quellen:
(1) www.udojuergens.de
(2) www.wikipedia.de
(3) www.udofan.de
music4ever.de - Anekdote - Nr. 89 - 02/15