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David EssexCliff Richard in den 70ern, de.wikipedia.org

Cliff Richard

Was zauberten eifrige Musik-Redakteure über das Phänomen "Cliff Richard" nicht alles aufs stets geduldige Papier: "Englands Elvis, ein Zeuge Jehovas", "Ritter auf Kreuzzug für Jesus" und "Peter Pan of Pop". Sicher nicht gerade einfach, über diesen Musiker, im Oktober 1940 im indischen Lucknow als Harry Rodger Webb zur Welt gekommen, eine würdige Biografie oder einen passenden Artikel zu schreiben. Halten wir uns an die Fakten: Keiner verkaufte auf der britischen Insel mehr Vinyl-Kurzrillen als er. Zudem bugsierte er in sage und schreibe sechs Jahrzehnten je mindestens einen Song in die Top Ten der BBC-Charts, von 1959 bis 2006. Nur zwei oder drei seiner insgesamt an die 160 veröffentlichten Single-Platten segelten an den Bestseller-Listen vorbei. Dürfte sonst niemand von sich behaupten können.

Anfangs, im Jahr 1958, verkauften ihn die Musik-Bosse als die britische Elvis-Kopie, welche mit Pomade, Lederjacke und furchterregenden Blicken zur Teenager-Revolte ermunterte. Als Elvis Presley kurze Zeit später auf die weiche Welle umschaltete, folgte ihm Richard mit getragenen Songs wie etwa "Living Doll" (1959). Womit für Cliff auch die lange Reihe der Chartbreaker startete. Es folgten Hits wie "The Young Ones" (1962), "Summer Holiday" (1963) und "Congratulations" (1968). Allerdings hinterließ der Tod seines Vaters 1963 bei dem Sänger tiefe Wunden. Fortan wandte er sich zunächst den Zeugen Jehovas zu, später dann der protestantischen Sekte der Crusaders. Er begann auch, von der christlichen Botschaft sichtlich bewegt, in Kirchen und Sonntagsschulen zu predigen.

Ein Christ im Showgeschäft

Trotzdem ließ er seinen neugewonnenen Glauben zumeist vor der Studiotür zurück, stürzte sich wieder ins Musik-Business. "Ich seh mich als Christ, der zufälligerweise im Showgeschäft ist - und nicht etwa umgekehrt", erklärte Cliff Richard stets der Presse. Auch sein Lebenswandel unterschied sich von anderen Popstars erheblich: Der Musiker entsagte jeder Art von Rauschmitteln und vermied eine allzu derbe Sprache. Manchem fiel sicher auf, dass der britische Sänger bis auf den heutigen Tag unverheiratet blieb. "Mich nervt es höllisch, wie die Medien über meine sexuelle Orientierung spekulieren. Geht es irgendjemanden etwas an? Ich denke, meinen Fans wäre das ohnehin egal", beschwerte sich Cliff einst. So schirmte er sein Privatleben rigoros von der Außenwelt ab.

Künstlerisch hatte er sich seit Beginn der 60er längst der leichten Muse zugewandt; galt bis Mitte der 70er als seichter Schlagersänger. Als vorerst letzter Erfolg erwies sich sein Auftritt beim Eurovision Song Contest (ESC) von 1973 mit dem gar nicht so schlechten Song "Power To All Our Friends", welcher im Wettbewerb Rang Drei schaffte und in der BBC noch Platz Vier. In den folgenden Jahren stapelten sich seine Vinylrillen in den Läden wie saures Brot. Erst ein Imagewechsel verhalf Cliff Richard zu einem furiosen Comeback. Mit der traumhaften Ballade "Miss You Nights" und dem mysteriösen Rock-Song "Devil Woman" (beide 1976) brachte er seine Fans wieder auf seine Seite. Und Kollegen wie Elton John staunten nicht schlecht, als ihr Idol aus den 50ern auf die Bühnen zurückkehrte. Gewissermaßen schloss sich der Kreis; Cliff hatte seinerzeit mit Rock 'n' Roll seine Karriere begonnen und nun endlich zu seinen Wurzeln zurückgefunden.

David EssexCliff Richard in den 80ern, positivelygood.net

Der Rubel rollt

Für viele Jahre sollte der Ausnahmesänger an der Spitze bleiben. Dafür sorgte Songmaterial wie beispielsweise "We Don't Talk Anymore" (1979), "Dreamin'" (1980), "My Pretty One" und "Some People" (beide 1987). Der Künstler, wohl wissend, dass sein eigenes schöpferisches Potenzial nicht ausreichte, suchte sich für seine Songs immer passende Songwriter mit guten Liedern. In zweiter Linie gelang es ihm, sich stets dem aktuellen Musikgeschmack ein Stück weit anzupassen. Als gegen Anfang der 80er der Disco-Sound seinen Siegeszug antrat, gestaltete er seine Singles flotter. Womit er doch deutlich wieder zur Pop-Musik tendierte. Obwohl Cliffs Platten in England und auf dem europäischen Kontinent mehr als gut liefen, gelang es dem Künstler nie, in den Staaten ein Bein auf den Boden zu bekommen. Einzig die Titel "Devil Woman", "We Don't Talk Anymore" und "Dreaming" sprangen in die Top Ten der Billboard-"Hot 100".

Doch der Musiker, 1995 als erster Popstar von der britischen Queen zum Ritter geschlagen, machte sich nichts draus und stellte in seiner Heimat weitere Rekorde auf: So brachte ihm seine Single "21st Century Christmas" 2006 in den BBC-Charts immerhin Rang 2 ein. Daher entpuppte sich Cliff Richard als der einzige Sänger weltweit, der immerhin in sechs aufeinander folgenden Jahrzehnten - wie eingangs erwähnt - je einen Top-Ten-Hit vorzeigen konnte. Zudem hielt er in fast allen Konzerthäusern von Großbritannien den Besucherrekord. Aber er wagte sich auch auf fremdes Terrain, veröffentlichte ein Kinderbuch mit 50 Bibelgeschichten. Und spielte im christlichen Film "Two A Penny" sogar die Hauptrolle, während er privat viele karikative Vereine unterstützt.

Cliff, der Winzer

Und was macht Cliff Richard heute? Nach wie vor tourt der mannigfach geehrte Künstler durch die Welt: Vereinigtes Königreich, Australien, Singapur, Manila und Israel stehen aktuell auf dem Spielplan. Teils sind sogar die guten alten Shadows - seine einstige Begleitband - mit von der Partie. Im Jahr 1997 erwarb der Musiker in der Nähe von Albufeira, Algarve, Portugal, ein Weingut. Stolz präsentierte der frisch gebackene Winzer 2001 die erste, selbst abgefüllte Flasche Rotwein, den "Vida Nova". Mehr noch: 2005 zeichnet die International Wine Challenge einen seiner Weine aus. Bleibt noch die Frage, warum Cliff Richard nie Vater geworden ist. "Um ganz ehrlich zu sein, das hat mich nie gestört  … Hätte ich geheiratet und Kinder gehabt, wäre ich nicht in der Lage das zu tun, was ich jetzt tue. Ich würde nicht das tun wollen, was ich jetzt tue."

David EssexDer reife Cliff, cliffricharddyinginside.tumblr.com

Joachim Eiding

Quellen: www.cliffrichard.org - www.discogs.com - www.guardian.co.uk - www.lastfm.de - www.allmusic.com - www.stern.de - www.klatsch-tratsch.de - www.warwick-castle.com - www.was-war-wann.de - Das neue Rock-Lexikon, Barry Graves, Siegfried Schmidt-Joos und Bernward Halbscheffel, Rowohlt, 1999 - Rock Dreams, Guy Peellaert, 1973

 

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