"Bitte, bitte - lass uns hinfahren." werde ich gedrängt. Natascha wird keine Ruhe geben, bis ich nachgebe. "O.K., wir fahren!".
Schon Tage vorher hat sie mich mit Informationen und Internet-Links gefüttert, um meine Abenteuerlust anzukurbeln. Über die Suchmaschinen gibt es genügend Hinweise. Auch etliche Videos werden angeboten, zum Teil sehr schön gemacht (empfehlenswert).
Auf der Straße St 2080 von Ebersberg nach Markt Schwaben soll vor vielen Jahren eine Frau mit ihren zwei Kindern von einem PKW überfahren worden sein und wegen unterlassener Hilfeleistung (Fahrerflucht) sogar tödlich.
Jetzt spukt sie an der Unfallstelle, erscheint als weiße Frau und will von vorbeifahrenden
Autos mitgenommen werden. Sie verschwindet nach wenigen Kilometern wieder, greift aber ins Steuer,
wenn man sie nicht mitnimmt. Offensichtlich sucht sie ihren Mörder.
Aus der
nahen Hubertus-Kapelle am Straßenrand soll hin und wieder ein mysteriöses Leuchten
kommen, zumindest wenn sie gerade in der Nähe ist. Dazu Kindergeschrei im Umfeld und
Irrlichter im Wald.
Etliche Beiträge im Internet beschäftigen sich
damit, dass die Leute dorthin gefahren sind, um die weiße Frau zu sehen und auch die anderen
Begleiterscheinungen wie die Irrlichter. Letztere wurden angeblich wissenschaftlich untersucht und
als Reflexionen von Auto-Scheinwerfern an alten Schildern eingestuft.
So, und jetzt wir auch noch. Ob ich Angst hätte, werde ich von Natascha gefragt. "Ich doch nicht" und verheimliche, dass ich gar nicht an solche Geistergeschichten glaube und höchstens der Nutznießer ihrer Angst im nächtlichen Wald sein werde.
Im Ebersberger Forst
Geister kommen ja bekanntlich um Mitternacht, also waren wir um diese Zeit da und hielten
langsam fahrend nach der "Lady in White" Ausschau. Nix! Mehrere Male fuhren wir die
Strecke ab, keine weiße Frau. Auch kein weißes Huschen über die Straße oder
an ihr entlang. Eine Maus sah ich, wie sie über die Straße rannte. Sie sah braun aus,
weniger weiß. Sonst nichts. Natascha war frustriert und ich solle jetzt neben der Kapelle
parken. Tat ich.
Kein Licht aus der Kapelle, trotzdem wurde sie fotografiert.
Jetzt waren wir es, die ihr Licht gaben, nämlich Blitzlicht. Dann wieder Ruhe. Keine
weiße Frau, kein geheimnisvoller Schimmer aus der Kapelle und keine Kinderstimmen.
Deshalb schlug ich vor, den Weg entlang zu spazieren, natürlich mit Taschenlampe. Wir
waren ja entsprechend vorbereitet. "Was? Hier in den dunklen Wald hinein, NIEMALS!" bekam
ich zu hören.
"O.K., dann fahren wir jetzt wieder nach Hause und haken
das Thema ab". "Nee - so schnell nicht. OK, ich komme mit, aber wir kehren sofort um,
wenn ich Angst habe, gell?" "Na klar, aber du hast ja jetzt schon Angst!"
"Schon ein bisschen - und du"? Wahrheitsgemäß sagte ich, dass ich keine habe,
weil mir dazu die nötigen Voraussetzungen fehlen. Es macht mir aber Spaß, diese
Geschichte als Aberglaube und Unfug zu entlarven. Als wir auf dem Schotterweg gingen, bohrten sich
zehn scharfe Krallen in meinen Oberarm. Dann sahen wir Lichter. Keine Angst, das sind
tatsächlich Reflexionen von vorbeifahrenden Autos (Straße verläuft fast parallel zu
unserem Forstweg), und der Zusammenhang der Lichter mit den Autos ist offensichtlich. Dann sind wir
schon ein paar hundert Meter weiter im Wald und plötzlich wird mein Arm zusammengequetscht,
mit einer Kraft, die ich dem Mädel gar nicht zugetraut habe. "Haste gesehen?"
"Was?" "Das Licht da vorne". Nix gesehen, schaue aber angestrengt nach
vorne.
Die Irrlichter
Stockfinster war's, kein Auto in der Nähe, da können auch keine Reflexionen entstehen. Ich beruhige sie und rette meinen Arm. "Da - schon wieder". Ich schaue hin, sehe nichts. Sie ist ganz aufgeregt und rückt mir auf die Pelle. Oh, wie ich diese Irrlichter liebe. Und dann sehe ich es auch. Kein Auto in der Nähe, es muss sich also um ein selbstständiges Licht handeln. Erscheint unregelmäßig und an verschiedenen Stellen.
Manchmal blitzt es auf, manchmal kommt es weich und sanft daher.
Jetzt ist es
Zeit, mich zu fragen: Kann es sein, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die wir nicht
verstehen und okkulten Ursprungs sind?
Ich ringe mich durch und beschließe:
Das sind eindeutig künstliche Lichter, vermutlich von Leuchtdioden. Ja, ganz typisch, kein
Zweifel! Da macht sich jemand einen Jux mit uns. Elektronische Schaltung mit Fotozelle, die am Tag
den Strom für die Nacht sammelt. Cleveres Bürschchen mit Witz, könnte ich gewesen
sein.
Jetzt will ich der Sache auf den Grund gehen, werde aber massiv
zurückgehalten. "Lass uns zum Auto gehen!" Keine Chance, muss abbrechen. Aber eine
Woche später sind wir wieder da und mutiger.
Das clevere Bürschchen hat seine Licht-Steuerung so angefertigt, dass es ausgeht, wenn man in der Nähe ist. Also ein Licht-Sensor, der unsere Taschenlampen erkennt, vielleicht auch noch ein Mikrofon. Denn dieser Effekt funktionierte auch, wenn wir im Dunkeln weitergehen. Dann sind die Lichter auf einmal weiter weg. Der Hund hat mehrere Schaltungen installiert! Dann entdecke ich Leuchtpunkte, die unser Licht der Taschenlampen zurückwerfen. Sogar ein Augenpaar ist dabei. Bewegt sich aber nicht. Licht aus, Augen weg. Licht an, Augen wieder da. An derselben Stelle. Mit dem Teleobjektiv, Blitz und höchster Empfindlichkeit fotografiere ich das, dann untersuche ich das Bild auf dem Monitor. Die Lichtpunkte kommen direkt von einem Baum - oder er steht genau dahinter. Nach ein paar Experimenten ist klar: An den Bäumen sind kleine Reflektoren. Jetzt bin ich nicht mehr zu halten und springe in den nassen Wald. Hinter mir ein Aufschrei "Du kannst mich doch hier nicht alleine lassen!". Ich hüpfe zurück, schnappe mir ihre Hand und zerre sie durchs Unterholz. Jetzt ist sie nicht mehr allein! Nach 50 Metern suche ich die Bäume ab und wirklich: Da stecken Reißnägel in der Rinde, die mit einer Reflex-Folie beklebt sind. Also doch. Man hat sich einen Spaß mit uns gemacht. Einen Reißnagel-Reflektor nehme ich mit als Beweis und Souvenir, die anderen dürfen ruhig zur Belustigung anderer dienen.
Elektronik pur
Gestern bin ich nochmal da gewesen, weil mir aufgefallen ist, dass mich die starren Reflektoren
und die Jagd danach völlig von den "beweglichen und aktiven" Lichtern abgelenkt
haben. Die elektronische Schaltung will ich schon finden und anschauen. Also vorbei an den
Reflektor-Augen und weiter den Forstweg entlang. Da plötzlich ein Schuppen von der
Forst-Verwaltung mit verdächtiger Fotovoltaik auf dem Dach. Das muss es sein!
Hineingeleuchtet durch die Fenster aber nichts Verdächtiges gesehen. Dann die Kabel gesucht,
die ja irgendwo herunter und ins Gelände führen müssen. Ausgetretene Spuren im Gras
deuten darauf hin, dass noch mehr Leute auf die gleiche Idee gekommen sind. Aber keine Kabel
gefunden. Sehr seltsam oder hoch professionell gemacht.
Wenn ich zurück
schaue, dann sehe ich die Lichter von den Autos. Aber nicht mehr so, dass man es als Autolichter
erkennen kann, sondern so, wie man sich Irrlichter vorstellt, außerdem hört man nichts
mehr von den Autos, viel zu weit weg. Manchmal sieht es so aus, als ob ein Feuerwerkskörper
über den Weg huscht. Das bringt mich auf den Gedanken, dass es vielleicht in der anderen
Richtung genauso ist. Das würde erklären, warum die kleinen Lichter wie Leuchtdioden aus
50 Meter Entfernung aussehen, dann aber doch wieder weiter weg sind, wenn man ihnen folgt. Der Wald
ist zu dicht, als dass da irgendwelche Lichter hindurchscheinen können. Aber weil der Weg
zurück kerzengerade verläuft, kann man die Lichter dennoch sehen. Wenn das Licht voraus
tatsächlich ebenfalls von Autos stammen würde, müsste nach kerzengeradem Forstweg
eine Autostraße sein, aber weit weg, da das Licht vor uns ebenfalls geräuschlos ist.
Einmal auf diesen Gedanken gekommen, muss ich der Sache nachgehen, wörtlich.
Und tatsächlich stehe ich nach vier Kilometern bei einem Gasthaus von Neupullach auf der B
12, und der Spuk hat sich aufgeklärt. Aber es ist wie ein Wunder, eine so lange Straße
ohne Krümmung, ohne Steigung, nur deshalb konnte man überhaupt etwas sehen.
Neue Ziele
Ich bin froh, dass ich der Sache nachgegangen bin. So fand ich eine natürliche
Erklärung für mystische Lichterscheinungen, die dort tatsächlich eine Besonderheit
sind. Und die Erklärungs-Versuche im Internet haben es sich viel zu leicht gemacht und nur
oberflächliche Erklärungen abgegeben.
Sehr schade finde ich, dass ich
keine elektronische Schaltung gefunden habe. Jetzt muss ich das machen.
Auch
für die Reflektor-Reißnägel könnte es eine andere Erklärung
geben. Wenn es kein Jux ist, dann haben hier Bundeswehr-Soldaten Nachtübungen abgehalten.
Freiwillige vor - erbitte Feedback!
Natascha ist enttäuscht, kein Spuk, und
die weiße Frau hat entweder ihren Mörder gefunden und ist mit ihm ins Licht gegangen
oder bei Geistern gibt es auch so etwas wie Urlaub.
Natascha hat schon das
Nachfolge-Projekt gefunden: Bei Weilheim soll es auch spuken.
Ausgerechnet ich werde noch ein
Experte auf diesem Gebiet, fürchte ich ... (ehrlich)
Günter Weeren
music4ever.de - Extra - Nr. 46 - 7/10