••• music-4-ever - home ...   •••   übersicht - journal ... •••

Dirk Koch-Gadow, Label-Boss und Musik-Manager

Die Situation der Schallplattenlabels im Zeitalter des Internet

Herr Koch-Gadow, als Chef des Erlanger Plattenlabels "Borodino Records" haben Sie sich vornehmlich auf deutsche Interpreten, besonders Liedermacher, spezialisiert. Wieso?

Unser Repertoire umfasst zunächst Klassik und deutschsprachigen Pop. Dann probieren wir zur Zeit gerade eine Hip-Hop-Nummer aus. Weiter haben wir auch russisches Repertoire (Klassik, orthodoxe Gesänge, Volksweisen) - alles von dem Ural Kosaken Chor, ja und Liedermacher. Hier seien einmal Lothar von Versen, das Urgestein der Berliner Liedermacher- und Kabarettszene - Weggenosse von Mey - Joana, Ulrich Roski, Schobert & Black, erwähnt als auch Ulrik Remy. Mit beiden Künstlern verbindet mich eine über 30-jährige Freundschaft und Zusammenarbeit. Und mit Ulrik Remy, der ja seit etlichen Jahren in den USA lebt, konnten wir einen Deal schließen, der das gesamte Repertoire von ihm für CD-Neuveröffentlichungen beinhaltet. Die Frage nach dem WIESO? Weil ich es schade fände, wenn speziell diese alten Werke der Vergessenheit anheim fallen würden.
Es sind ja eigentlich Oldies, alle Schlager und Pop-Oldies sind auf CD wiederveröffentlicht worden. Also, warum nicht das Altrepertoire von Remy oder von Versen, wobei wir von Lothar auch neue Produktionen veröffentlichen.

Lothar von VersenFoto: Borodino Concerts

Wer sind Ihre wichtigsten Interpreten?

Die Frage ist nicht ganz eindeutig: Kommerziell gesehen unser Panflötist Roman Kazak, ein 24-jähriges Talent aus Moldawien, der von Klassik, Volksweisen über Pop bis hin zum Trance alles spielt. Er verkauft auf seinen Tourneen haufenweise! Der nächst beste Verkäufer ist Remy, dessen Tonträgerverkäufe zur Zeit nur übers Internet laufen. Mit diesen Verkäufen haben wir nicht gerechnet, dachten eher, Remy sei wieder etwas für den Rundfunk, der ihn allerdings so gut wie nie einsetzt! Unsere Deutsch-Pop-CDs laufen wiederum im Rundfunk; da sind die Verkäufe sehr bescheiden.

Wie sehen Sie die Zukunft der Liedermacher, deren große Zeit hauptsächlich in den 70er Jahren war?

Da man keinerlei Unterstützung in oder von den Medien erhält, sehe ich die Entwicklung sehr trübe. Hier ist die Präsenz des Künstlers vor Ort wichtig, sprich Konzerte. Dort werden noch Tonträger verkauft (um die nächste Frage teilweise vorwegzunehmen). Ein anderes Problem, das wir immer wieder feststellen können: Die ältere Generation ist gar nicht mehr zu mobilisieren, auf irgendwelche Konzerte zu gehen - zumindest hier in Deutschland. Wir standen damals als 16-, 17- oder 18- Jährige auf die Liedermacher...aber versuchen Sie mal heute, einem 17-Jährigen einen Liedermacher näherzubringen! Die Zeit ist stumpfer geworden - und die Musik erst recht!

Wie geht es Ihrem Label im Zeitalter des Internet? Denn die Fans laden sich ihre Lieblingssongs oft lieber herunter, als sich eine CD zu kaufen.
Können Sie diesem Trend etwas entgegensetzen? Haben Sie sich dem Download-Markt schon geöffnet?

Wir haben Gott sei Dank noch Borodino Concerts. Und, wie ich schon erwähnte, sind die Tonträgerverkäufe bei den Konzerten wichtig - obwohl rückgängig sind sie auch geworden.
Wir müssen uns dem Download-Markt öffnen, ganz klar. Bei Ulrik Remy kann man sich ja auch alles downloaden, aber die wahren "Fans" wollen - glaube ich - schon eine richtige CD im Regal stehen haben.

Gadow / de JongFoto: Borodino Concerts, Gadow / de Jong

Wie ist Ihr Konzept im harten Musik-Business? Glauben Sie, dass finanzielle Kalkulation und Idealismus durchaus unter einen Hut zu bringen sind oder dass sich das eher beißt?

Bis vor einigen Jahren konnte ich noch kompromisslos arbeiten, habe also nur das veröffentlicht, was mir am Herzen lag. Heutzutage muss man schon Kompromisse eingehen, die Zeiten haben sich verändert. Die Redakteure von damals sind in Rente... und von den neuen Redakteuren kennt keiner die alte Garde! Also bemustert man den Redakteur mit einem neuen, aktuellen kommerziellen Produkt und legt die unkommerziellere Produktion bei! Das ganze Musikbusiness bedeutet Idealismus, harte Arbeit und natürlich eine finanzielle Kalkulation.

Auf welche Weise läuft Ihr Betrieb in der Praxis ab? Kommen beispielsweise auch unbekannte Interpreten auf Sie zu und bieten ihre Werke an?

Sasha SagallFoto: Borodino Records, Newcomer Sasha Sagall im Studio

Auf der einen Seite suchen wir nach neuen Interpreten selber: So sind wir beispielsweise zufällig im unserem "Stammstudio" auf einen Künstler namens Sasha Sagall aufmerksam geworden, den wir sofort unter Vertrag genommen haben, wo wir der festen Überzeugung sind, dass dieser talentierte Sänger, Autor und Produzent eines Tages ganz groß rauskommen wird, - auch aufgrund seiner Vielseitigkeit. Es kommen aber auch unbekannte Interpreten auf uns zu und dann haben wir eben auch unseren Stamm wie beispielsweise Lothar von Versen, Ulrik Remy, den Ural Kosaken Chor, an dem wir die weltweiten Rechte erworben haben.

Werden Ihrer Meinung nach Plattenlabels in der Download-Ära möglicherweise überflüssig oder behalten sie ihre Position? Vor allem, weil die Firmen doch hauptsächlich mit Rechten an den Aufnahmen der Künstler handeln.

Ich glaube, dass es in fünf Jahren keine CD-Läden mehr gibt und dass die CDs im Prinzip nur noch für den Rundfunk hergestellt werden. Schauen Sie sich doch die Situation der gesamten Musikindustrie an: Wer verkauft denn noch so, dass die Produktionskosten rauskommen, der ganze PR-Aufwand in den großen Firmen. Unser Label produziert in erster Linie für den Funk (Ausnahmen wären hier der Ural Kosaken Chor und Roman Kazak, die für die Konzerte produziert werden). Aber welcher Pop-Künstler aus dem deutschsprachigen Bereich geht schon auf Tour? Zumal der Kostenapparat so hoch ist, dass ja kaum was übrig bleibt. Insofern muss sich die Industrie umstellen. Ich bin zwar derjenige, der den alten guten Zeiten am ehesten nachjammert, aber war auch einer der ersten, der sofort Konsequenzen gezogen hat und das Business anders angegangen ist, indem ich direkt den Popinterpreten erklärt habe, dass sie keine Verkäufe erwarten brauchen, sondern eine gute "Radio Frequency" (RF)-Promotion.

Sasha SagallFoto: Borodino Records, Ural-Kosaken-Chor

Wie sehen Sie die Konkurrenz durch Piratenseiten wie zum Beispiels die russische Website Mp3xx.ru?

Obwohl wir Russen ja vermarkten, kann ich kein gutes Wort über die Musikpolitik der Russen verlieren: eine CD-Produktion, die wir 1982 veröffentlicht haben, ist von den Russen ohne unser Wissen übernommen worden und wird weltweit vertrieben. Wir sehen keinen Pfennig beziehungsweise Euro davon und die GEMA konnte nichts ausfindig machen... Gleiches wird mit zum Beispiel Mp3xx.ru geschehen - beziehungsweise nicht geschehen!

Welchen Rat können Sie jungen Interpreten mit auf den Weg geben?

Ich bin als "künstlerischer Geschäftsmann" zeit meines Lebens einen steinigen Weg gegangen, musste immer kämpfen (bis heute noch), aber ich habe immer an das geglaubt, was ich mache (oder zu machen habe/hatte). Auch wenn ich viele Downs hatte, es gab immer einen Ausweg. Und mein Ratschlag für jeden, der sich in dieses Business begibt:
1. Harte Arbeit (die auch mal wie bei mir in der Regel einen 12-Stunden-Tag bedeutet)
2. Den Glauben an sich selber nicht aufgeben und kämpfen
3. Nicht an den schnellen Euro denken

Herr Koch-Gadow, herzlichen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Joachim Eiding

music4ever.de - Interview - Nr. 23 - 8/08