Wie steht es um die Zukunft der Piratensender?
Heute steht es einerseits schlecht um sie, weil das Interesse an Radio sehr nachgelassen hat (nicht die Nutzung, aber das aktive Interesse) und es praktisch keine freien Frequenzen mehr gibt.
Andererseits sorgt gerade das nachgelassene Interesse dafür, dass sich auch kaum noch jemand über Piratensender aufregt. In den 70ern ging beim Auftauchen eines neuen Senders ein automatisierter Alarm bei der Funkmessstelle los und nach 20 Minuten war der Sender innerhalb einer Stadt "erlegt". Nach 2000 war in München ein 10-W-UKW-Stereo-RDS-Sender 1,5 Jahre nonstop auf Sendung, bevor er entdeckt und ausgehoben wurde.
Wann gab es die ersten Piratensender im eigentlichen Sinne?
Das begann schon in den 20er- und 30er-Jahren mit Schiffen vor den Küsten Amerikas. Während nämlich an Land illegales Glücksspiel und Alkoholausschank verboten war, griff der starke Arm des Gesetzes nicht auf See. In den 60ern strahlten dann aus Mexiko starke MW-Sender in die USA. Auf diese Weise wurde unter anderem der DJ "Wolfman Jack" bekannt, der unter anderem in dem George-Lucas-Film "American Graffiti" verewigt wurde, aber auch bis kurz vor seinem Tod noch auf dem AFN zu hören war.
In Europa gab es schon vor dem Krieg Radio Luxemburg, doch dies wird selten als Piratensender gesehen. Obwohl auch hier gezielt aus Luxemburg, wo dies erlaubt war, in Länder wie Deutschland und Großbritannien gesendet wurde. Dort herrschte ein Rundfunkmonopol. 1938, kurz vor dem Krieg, wurde Radio Luxemburg in England mit 45 Prozent von deutlich mehr Hörern gehört als die BBC mit 35 Prozent. Heute gibt es Radio Luxemburg nicht mehr, wohl aber das TV-Programm RTL (Radio Tele Luxemburg), das erneut aus fremden Sphären (nämlich aus dem All über Satellit) nach Deutschland kam und natürlich nicht gerade als Beleg für die Verbesserung des Programms durch die Piraten geeignet ist.
Im Krieg gab es etliche politische Widerstandssender gegen die Nazis, die unter hohem Risiko betrieben werden. Die Urheber überlebten nur sehr selten: Es gibt auch keine Aufzeichnungen aus dieser Zeit. Diese waren damals Privatleuten technisch noch nicht möglich. Ein Sender war allerdings auch auf einem Schiff im Atlantik gegen die Nazis aktiv.
Ende der 50er Jahre arbeiteten die ersten klassischen Musik-Piratensender in Europa dann von Schiffen vor den Küsten Schwedens und Dänemarks aus. In den 60ern kamen die Sender vor England und Holland wie Radio Caroline, Radio London, Radio Nordsee International und Radio Veronica hinzu, die teils auch heute noch über Satellit und Internet zu hören sind, wie beispielsweise radiocaroline.co.uk.
In den 70ern startete auch in Deutschland und der Schweiz das Piratenfieber mit Sendern von den italienischen Alpen, wo die Vorschriften für Rundfunk gerade gelockert worden waren. Roger Schawinskis "Radio 24" brachte der Schweiz Musik rund um die Uhr. Später gab's "Radio Bavaria International" Deutschland respektive Bayern und Schwaben, dann kam noch "Radio Brenner" hinzu. Eine ähnliche Szene entwickelte sich im Westen an der Grenze zu Holland und Belgien.
In den 70ern wurden auch politische Piratensender im Rahmen der Anti-Atomkraft-Bewegung aktiv, was zur intensiven Verfolgung aller Piratensender führte. Dabei waren die Betreiber der Musik-Piratensender politisch meist sehr konservativ.
Wie entwickelten sich die privaten Sender bis heute?
Vom Idealismus der Gründerjahre, der selbstverständlich auch vom Traum vom großen Geld begleitet war, doch wirkliches Interesse an Musik und Hörern zeigte, ist wenig übriggeblieben. Heute senden alle Sender nur noch "die heißesten Hits der 70er, 80er und 90er, von allem etwas, von nichts genug!".
Im Übrigen lehne ich den Begriff "privat" in diesem Zusammenhang mittlerweile ab. Ich wurde von einem öffentlich-rechtlichen Sender auf eine halbe Million verklagt, weil ich ihm unter anderem an mich und meine Partnerin gerichtete, private E-Mails nicht aushändigen wollte. Doch mit Begriffen wie "Privatfernsehen", die eigentlich nur den Gegensatz zu "gebührenfinanziertem, öffentlich-rechtlichen Fernsehen" ausdrücken sollen, wird "privat" und sogar "intim" mit "kommerziell" gleichgesetzt. Gemeint ist "aus Privatvermögen finanziert", doch kann dies kein Argument sein, dass nun selbst "Privatleben" etwas ist, in rechtlich in Konkurrenz zu ARD & ZDF eingestuft wird.
Welches sind die heute bekanntesten Piratensender?
Radio Caroline dürfte der bekannteste sein, der heute natürlich legal sendet. Echte "Piratensender", die wirklich gegen das geltende Recht in ihrem Land verstoßen - die historischen Piraten nutzten meist legale Gesetzeslücken aus und sendeten eben aus Ländern, wo dies nicht verboten war - sind auch heute nicht sehr bekannt, es wäre ihr schnelles Ende.
Welche Rolle spielte Jo Lüders?
Dieser hatte in Hamburg ab 1964 die Offshore-Piraten hautnah miterlebt und bei ersten Ideen zu einem "Star Radio 1" des damals berühmten Hamburger Star Clubs und später auch bei Radio Nordsee International mitgewirkt.
Jo Lüders blieb den Plattentellern treu, eröffnete eine Discothek in Kolbermoor. 1977 begann er wieder mit Radio und gründete in Italien "Holiday Radio International", das aus zehn Sendern "von Südtirol bis Neapel" bestand und deutsche Urlauber in der Ferienzeit unterhielt, weshalb die Sender an Urlaubsschwerpunkten aufgestellt waren. In Italien war ja damals im Gegensatz zu Deutschland bereits Privatfunk erlaubt und auch andere deutschsprachige Urlaubersender wie "Radio Adria" (1976) starteten durch. In den 80ern folgten noch Radio Gloria International vom Macher des Kurzwellenpiraten Radio Gloria und Antenne 3 am Gardasee.
1978 hörte Jo dann zuerst in Südtirol auf der Gossensaß-Alm den Bayrischen Rundfunk und später in München den Südtiroler Lokalsender Radio Eisack auf 102,8 MHz, auf dem eine von ihm selbst produzierte Sendung lief. Das führte zur Anschaffung einer großen 14-Element-UKW-Antenne, die Lüders zum allgemeinen Entsetzen auf dem südlich gelegenen Balkon im 9. Stock des Apartmenthauses in der Münchner Osterwaldstraße montierte. Die Antenne konnte man noch vom Mittleren Ring aus sehen und Jo konnte Radio Eisack nun rund um die Uhr hören.
"Wie gut müsste der Empfang erst sein, wenn der Sender auch so eine Richtantenne gezielt nach Bayern strahlen lässt?" dachte sich der Funkamateur (DJ7JL) in Jo und die Idee für Radio Bavaria International war geboren, das er zusammen mit Jürgen von Wedel (DG3WZ) realisiert.
Leider war Jo Lüders ein Träumer, der auch nicht gut darin war, mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten: Er scheiterte immer wieder. Zuerst mit RBI, das tatsächlich in Bayern zu hören war, doch nicht so gut in München selbst, wo die Werbefirmen sitzen. Er wurde aus dem Unternehmen getrickst, das dann als "Radio M1" mit einem eher rüpeligen Chef kurzfristig sensationellen Erfolg hatte, bis die Antenne abgesägt wurde. Auch Radio Brenner hatte mehr Leistung und Geld als Jo Lüders.
Er startete dann "Radio Xanadu" im Münchner Kabelpilotprojekt, das auch erst nach seinem Ausstieg mit Fredi Kogl und Thomas Gottschalk Erfolg hatte. Danach folgte das Satellitenradio "Star*Sat", heute zur Technisat-Gruppe gehörend, dessen wirtschaftlicher Erfolg weit überschätzt wurde - Jo musste am Schluss seine Mitarbeiter entlassen.
Mit "Magic*Blue" sendete Jo nun frustriert als One-Man-Show im Münchner "Digital Audio Broadcast" (DAB), was ebenfalls kein wirtschaftlicher Erfolg wurde. Sein letztes Radioprojekt, "Radio Flamingo", fand nur noch im Internet statt. Am 21. Juli 2000 starb Jo Lüders mit 61 Jahren an der unheilbaren Nervenmuskelkrankheit "Amyotrophe Lateralsklerose" (ALS).
Wie viele Piratensender fliegen auf, prozentual gesehen, und warum?
Den Prozentsatz kann man nicht sagen. Wer nur einmal mit kleiner Leistung sendet, wird selten erwischt, aber auch selten gehört. Wer über Monate regelmäßig angekündigt sendet, wird ziemlich sicher erwischt. Dies geschieht entweder "in flagranti" oder aufgrund von Verrat, insbesondere anhand der Stimmen der Moderatoren.
Welche technischen Voraussetzungen erfordert die Einrichtung einer solchen privaten Rundfunkstation?
Ein Einfachst-Sender, der nur einige 100 Meter weit zu hören ist, ist schon für fünf Euro möglich. Ansonsten gute und funkfeste Programmquellen. Gute Sender sind ab 200 Euro möglich.
Welche Tricks nutz(t)en Privatsender, um unbehelligt senden zu können?
Entweder eben das Senden von Standorten, an denen es legal war, oder häufiger Ortswechsel und nicht länger als 15 Minuten von einem Standort arbeiten. In London wird das Signal auch häufig über Richtfunkstrecken zugeführt. Vor dem Abschalten schützt all dies nicht, aber vor dem Erwischtwerden.
Womit haben Betreiber von Piratensender besonders zu kämpfen?
Geldmangel und Illegalität sowie geringes Interesse im Zeitalter des Internets.
Wie sind die Chancen eines Privatsenders in internationalen Gewässern?
Die Gesetze wurden verändert. Wenn heute ein Schiff bis zum Dach voll Kokain und eins mit einem Piratensender in internationalen Gewässern ankern, darf eins davon nicht geentert werden: Das mit den Drogen...
Welche gesetzlichen Strafen drohen denn heute überhaupt einem Radio-Piraten?
In Deutschland: Ordnungswidrigkeit, Einzug des Senders, Rechnung für den Einsatz der Funkpeiler. Bei gefährlichen Störungen wie beispielsweise Flugfunkstörungen bei schlecht gebauten Sendern bis zu 500.000 Euro. Im Normalfall mit Polizeieinsatz etwa 1000 bis 1500 Euro.
Eine Website ins Internet zu stellen, ist in der Praxis weit gefährlicher.
Haben Sie selbst auch mal ein eigenes Projekt dieser Art gestartet?
Nein, ich wollte mir die Chance auf eine Amateurfunklizenz seinerzeit nicht verbauen. Leider kreierte ich später eine Homepage und wurde vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk als "gefährlicher Konkurrent" auf 500.000 Euro verklagt, obwohl die Homepage mit Rundfunk nichts zu tun hatte (www.dl2mcd.de/domain.html). Mit einem Piratensender wäre ich wesentlich besser gefahren und hätte mehr Spaß gehabt. Leider war ich damals schon erwachsen und somit seriös und somit eben ein zu bekämpfender Gegner.
Welche Rolle spielen CB-Funk und das Internet für Radio-Piraterie?
CB-Funk ist Sprechfunk, die Tonqualität und Reichweite sind unzureichend und die CB-Funker über Rundfunkaussendungen sehr verärgert, die dort auch verboten sind. CB-Funk kann ja auch nur von CB-Funkern empfangen werden. Normale Radios, auch mit Kurzwelle, hatten bis vor einigen Jahren diesen Frequenzbereich prinzipiell nicht.
Das Internet erschien anfangs als Ausweg aus der Illegalität. Doch Internet ist viel gefährlicher: Die Plattenindustrie verlangt Gebühren von mindestens 50 Euro im Monat, schränkt sehr ein, was man spielen darf. Zum Beispiel kann man nicht mehr als zwei Titel desselben Interpreten hintereinander bringen. Und die etablierten Unternehmen starten Millionenklagen gegen kleine Websites. Ich kann zur eigenen Website eher abraten, auch wenn es technisch inzwischen ohne dicke Standleitung funktioniert. Aber bei hoher Hörerzahl brechen alle Streams zusammen...
Herr Roth, herzlichen Dank!
Das Gespräch führte Joachim Eiding.
Links: wolfdrock.de, piratensenderbuch.de
music4ever.de - Interview - Nr. 22 - 7/08